Selten verläuft ein Buch so anders, als ich es erwartete! Ich habe über Aufzeichnungen eines Serienmörders gedacht, dass es sich um einen "pensionierten" Serienmörder handelt, der 25 Jahre nach
seinem letzten Mord glaubt, einen anderen Serienmörder zu erkennen. Zum Schutz seiner Tochter, vermutlich das designierte nächste Mordopfer, nimmt sich der Pensionär vor, den anderen Serienmörder
aufzuhalten. Kurz, ich habe einen Krimi erwartet.
Gelesen habe ich eine berührende Aufzeichnung eines alten Mannes, der sich und seine Welt verliert. Gefangen in der Gegenwart, deren Relevanz er in Frage stellt, und gefangen in seinem Erleben,
versucht er sich ans Leben zu klammern, während seine Tochter ihn aufopferungsvoll pflegt, bis sie nicht mehr kann und ihn in ein Pflegeheim geben möchte.
Byongsu Kim vergisst, was gerade geschehen ist und kann keine Pläne mehr schmieden, da er auch diese an die Demenz verliert. Er weiss schlicht nicht mehr, welche Pläne er geschmiedet hat. Seine
Geschichte berührt, da seine Gedanken das einzige sind, das wir als Leser mitbekommen. Wir lesen uns durch seinen Verlust seiner selbst. Besonders eindrücklich sind die Gedankengänge, die sich
mit dem Realisieren dieses Verlustes auseinandersetzen.
Der Roman stimmt mich nachdenklich. Wer sind wir, wenn nicht das Erlebte unserer Vergangenheit und nicht die Pläne unserer Zukunft? Reicht es, wenn wir sind, was wir gerade im Moment sind? Trotz
der schweren Thematik und trotz der kriminalen Aspekte sind die Aufzeichnungen eines Serienmörders berührend schön.
Aufzeichnungen eines Serienmörders, Young-ha Kim, aus dem Koreanischen von Inwon Park (im Original Salinja-ui gieok-beob)
152 Seiten
erschienen im Februar 2020 beim Cass Verlag
ISBN: 978-3-944751-22-1
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